Arbeitsrecht: Erstaunliche Rechtsirrtümer! „Der Betriebsratsvorsitzende vertritt den Betriebsrat immer verbindlich auch ohne zugrunde liegenden Beschluss bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung!“

Diese Aussage ist falsch!

Der Vorsitzende vertritt den Betriebsrat im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse, § 26 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Üblicherweise berät der Betriebsrat und entscheidet durch Beschluss, den der Vorsitzende sodann vertritt. Der Vorsitzende handelt dann mit Vertretungsmacht.

Nach der Ansicht des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (Urt. 15.04.2021, AZ. 11 Sa 490/20) kann eine wirksame Bevollmächtigung aber auch dann vorliegen, wenn der Vorsitzende den Anschein einer wirksam erteilten Vertretungsmacht verursacht hat (Anscheinsvollmacht). Die Anscheinsvollmacht sei anzunehmen, wenn alle Betriebsratsmitglieder vom Handeln des Vorsitzenden Kenntnis haben und der Arbeitgeber im guten Glauben eines ordnungsgemäß gefassten Beschlusses ist und die übrigen Betriebsräte den Arbeitgeber nicht aufklären.

Das Bundesarbeitsgericht (Urt. 08.02.2022, AZ. 1 AZR 233/21) ist anderer Ansicht. Ohne Beschlussfassung könne der Vorsitzende den Betriebsrat bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung nicht mit Anscheinsvollmacht vertreten. Denn Betriebsvereinbarungen wirken unmittelbar und zwingend gegenüber allen Beschäftigten. Daher bedürfen Betriebsvereinbarungen der demokratisch legitimierten Beschlussfassung des Betriebsrats.

Oliver Sonntag
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht