Das Landesarbeitsgericht ist der Auffassung, die Klägerin habe in einer Anzeige die Änderung des Infektionsschutzgesetzes vom 18.11.2020 mit dem „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März 1933 gleichgesetzt. Hierdurch habe sie gegen ihre Rücksichtnahmepflicht auf die Interessen des beklagten Landes verstoßen, insbesondere gegen die Pflicht, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen (§ 3 Abs. 1 S. 2 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (Az: 10 Sa 66/21).
Vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Kammern Freiburg, wurde am 02.02.2022 eine Kündigungsschutzklage einer beim Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei des Landes Baden-Württemberg angestellten Ärztin verhandelt.
Die Klägerin ist seit 2019 im polizeiärztlichen Dienst in Lahr in Teilzeit beschäftigt. Die Klägerin veröffentlichte in einer kostenfrei erscheinenden Sonntagszeitung im Raum Offenburg unter ihrem Namen folgende Kleinanzeige (der Name der Klägerin ist entfernt worden): ((Bild))
An diesem Tag hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, das u.a. das Infektionsschutzgesetz (IfSG) geändert hat, beschlossen. Am selben Tag war eine hiergegen gerichtete Demonstration in Berlin vor dem Bundestag angemeldet.
Das Land Baden-Württemberg begründet die ordentliche Kündigung vom 10.02.2021 insbesondere mit der mangelnden Eignung der Klägerin für die Tätigkeit als Polizeiärztin. Im Übrigen habe die im öffentlichen Dienst beschäftigte Klägerin mit ihrem Verhalten arbeitsvertragliche Pflichten verletzt. Zu den Treuepflichten gehöre es, den Staat, die Verfassung und staatliche Organe nicht verächtlich zu machen. Die Überzeugung der Klägerin sei nicht durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr außerdienstliches Eintreten für die Wahrung der Grundrechte keine Verletzung ihrer Pflichten gegenüber dem Arbeitgeber darstellten. Das Gegenteil sei der Fall. Ihr Verhalten untermauere gerade ihre Loyalität zum Grundgesetz, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zu den Grundfesten des Landes Baden-Württemberg.
Das Arbeitsgericht Freiburg, Kammern Offenburg, hat mit Urteil vom 05.08.2021 die Kündigungsschutzklage abgewiesen (Az. 5 Ca 64/21). Die ordentliche Kündigung sei aufgrund der fehlenden Eignung der Klägerin sozial gerechtfertigt. Die Klägerin habe als eine im öffentlichen Dienst angestellte Polizeiärztin eine gesteigerte politische Treuepflicht. Sie habe mit dem Begriff „Ermächtigungsgesetz“ bewusst auf das nationalsozialistische Ermächtigungsgesetz von 1933 Bezug genommen und damit Staatsorgane verächtlich gemacht.
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil am 06.09.2021 Berufung eingelegt und ist nach wie vor der Auffassung, dass die Kündigung unwirksam sei. Weder habe sie außerdienstlich eine strafbare Handlung begangen noch habe sie gegen ihre vertragliche Pflicht zur politischen Zurückhaltung und Verfassungstreue verstoßen. Die Verwendung des Begriffs „Ermächtigungsgesetz“ mache den Bundestag und seine Mitglieder nicht verächtlich. Ihr Anliegen sei es gewesen, das Gewaltenteilungsprinzip auch in einer Notlage zu wahren. Sie dürfe eine Meinung darüber haben, wessen Aufgabe es sei, den richtigen Weg zur Bekämpfung der Pandemie zu finden. Sie übe als Polizeiärztin zudem keine hoheitliche Aufgabe aus.
Das beklagte Land verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Die Klägerin unterliege einer gesteigerten beamtenähnlichen Treuepflicht. Mit der Anzeige habe sie die verfassungsmäßige Ordnung aktiv bekämpft und den Bundestag sowie die Abgeordneten verächtlich gemacht, indem sie ihnen eine demokratiefeindliche Gesinnung unterstellt habe. Sie habe mit dem Appell zur Teilnahme an der Demonstration auch zum Widerstand gegen die Polizei aufgerufen. Weitere Äußerungen in einem Personalgespräch zeigten, dass sie die Covid-19-Pandemie leugne. Auch damit mache sie die Entscheidungsträger des Infektionsschutzgesetzes verächtlich.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Medienmitteilung vom 2. Februar 2022